Psychos haben kein schönes Leben. Das weiß man. Ständig fühlen sie sich von Ufos oder schwarzen Männern verfolgt – wenn sie nicht gleich als kreischendes Nervenbündel mit aufgerissenen Augen in der Ecke eines gepolsterten, weißen Raumes hocken, weil in ihrer Wahrnehmung Hunderte von tellergroßen, schwarzen Spinnen über sie hinweg krabbeln.
In Wahrheit ist es aber gar nicht so, wie es in Horrorfilmen und Psychothrillern dargestellt wird. Oft kommt es vor, dass Leute, die von einer akuten Psychose betroffen sind, sich total gut fühlen. Dass die Wahrnehmungsverzerrung ins Positive ausschlägt. Die Betroffenen halten sich für künstlerische Genies oder proben – in ihrer Einzimmerwohnung auf und ab laufend – die Dankesrede für das Nobelpreiskomitee. Für diese Leute ist es natürlich höchst unattraktiv ihre Tabletten zu nehmen. Denn auf einmal sind sie keine potentiellen Nobelpreisträger mehr, sondern wieder lediglich ein vereinsamter Psychotiker, der in einer verdreckten Einzimmerwohnung versucht, bereits gerauchte Zigarettenstummel aus dem Aschenbecher anzuzünden.
Nimmst Du noch Deine Tabletten, Jerry?
Ein solcher Typ ist Jerry. Er arbeitet in einer rosaroten Badewannenfabrik. Nach der Arbeit fährt er in sein gemütliches, sauberes Apartment am Waldrand, wo er die Erlebnisse des Tages mit seinen beiden besten Freunden, dem gutmütigen Hund Bosco und dem gemeinen Kater Mr. Whiskers bespricht. Als er eines Tages versuchsweise – weil er es seiner überforderten Psychotherapeutin versprochen hat – wieder beginnt seine Tabletten zu nehmen, schlägt er gnadenlos auf dem harten Boden der Realität auf. Die Wohnung ist eine kleine, verdreckte Klitsche über einer verfallenen Bowlingbar. Seine Haustiere bleiben stumm, und der abgetrennte Kopf im Kühlschrank sieht bereits ganz Grau aus und beginnt komisch zu riechen.
Im Kühlschrank ist es einsam
Kopf im Kühlschrank? Der Kopf gehört seiner attraktiven Arbeitskollegin Fiona, in die sich Jerry unsterblich verliebt hat und die er aus Versehen bei einem schiefgelaufenen Date mit dem Messer erstochen hat. Die Leiche hat er säuberlich zerteilt und den Kopf im Kühlschrank aufbewahrt, wo er nun rosarot und bezaubernd lächelnd mit ihm flirtet, sobald die Tür aufgeht. Jedoch nur, wenn er seine Tabletten NICHT eingenommen hat. Schnell entsorgt er alle noch verbliebenen Tabletten im Abfluss. Bald darauf teilt ihm Fiona mit, dass es doch etwas einsam wäre, so allein im Kühlschrank. Sie wünsche sich so sehr eine Freundin. Und da gäbe es doch noch die nicht minder attraktive Lisa aus der Buchhaltung… Die Katze ist dafür, der Hund dagegen.
Spagat zwischen Horror & Komödie von Oskar-Preisträgerin Marjane Satrapi
“The Voices“ ist eine groteske Horror-Tragikomödie. Der Zuschauer erlebt die Geschichte zum großen Teil aus dem Blickwinkel von Jerry und lebt mit ihm zusammen in seiner Welt, in der Tiere mit ihm sprechen und die Köpfe toter Frauen in ihn verliebt sind. In einer Welt, die direkt aus einer Fünfziger-Jahre-Reklame zusammengebaut wurde. Dabei gelingt der Regisseurin Marjane Satrapi ein charmanter, farbenfroher Spagat zwischen Komödie, Horror und auch etwas Tragödie. Denn am Ende holt die Wirklichkeit Jerry unerbittlich wieder ein. Nun ja… vielleicht nicht ganz…
Marjane Satrapi wurde vor allem mit ihrer autobiografischen Comic-Novel “Persepolis“ und der gleichnamigen Verfilmung berühmt, für die sie eine Oskar-Nominierung erhielt. Mit „The Voices“ verfilmte sie erstmals ein fremdes Drehbuch. Für die Kamera konnte Maxime Alexandre gewonnen werden, welcher seit dem Genre-Highlight “High Tension“ ein Kamera-Experte für die Umsetzung blutiger Stoffe ist und durch seine Erfahrung dem Film den notwendigen blutig-düsteren Touch gab.
Fazit: „The Voices“ ist ein großartiger und unterhaltsamer Film für alle, die farbenfrohen, schwarzen Humor lieben, manchmal mit ihren Haustieren reden und wissen, dass man traurigerweise nicht ewig in rosaroten Anzügen durch die Badewannenfabrik tanzen kann. Auch wenn man es versuchen sollte. Ab Donnerstag im Kino.
Trailer
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