In Katalonien, einer Region im Westen Spaniens, gibt es seit dem 17. Jahrhundert einen skurrilen Weihnachtsbrauch. Wie im Rest der christlichen Welt stellen die Leute dort zu den Festtagen ihre kleinen Weihnachtskrippen auf, die die Geburt Jesu nachstellen. Ochs und Esel, Ziegen und Engel, die Heiligen Drei Könige, Maria und Josef – sie alle stehen ganz brav im Stall herum und erfreuen die leuchtenden Augen des Betrachters. So weit, so langweilig. Doch im katalonischen Raum wird noch unauffällig eine weitere Figur zwischen die Reihen der spießigen Weihnachtstruppe geschmuggelt: der Caganer, zu deutsch „das Scheißerchen“. Ein Männchen in typischer Bauernkleidung der Region, das mit heruntergelassener Hose neben der Krippe hockt und ungeniert einen dicken Haufen in den Stall setzt. Vor allem die Kinder lieben es, in der Ansammlung von unzähligen Menschen-, Tier- und Pflanzenfiguren den unverschämten Häufchenmacher zu entdecken.
Über die Ursprünge dieses durchgeknallten Brauchs gibt es unzählige Theorien. Einige Historiker vermuten, dass die radikale künstlerische Hinwendung zum Realismus im Barockzeitalter verantwortlich für diese absurde Sitte sei. Prägen zuvor noch schwülstige Königs- und Adelsfiguren die Krippenlandschaft, hält nun das ungeschönte, alltägliche Leben Einzug in die Kultur. Und was ist alltäglicher, als Baby Jesus vor die Nase zu koten? Andere Geschichtsforscher sind dagegen der Meinung, dass der wurstende Bauer eine Art Glücksbringer darstellt, denn er düngt die Erde und lässt eine gute Ernte für das kommende Jahr erwarten. Außerdem steht der junge Mann für eine gute Verdauung und damit für einen gesunden Körper, was ganz hervorragend zu einem Spruch passt, den man in Katalonien gern vor einem guten Essen zitiert: „Iss gut, scheiße kräftig und fürchte dich nicht vor dem Tod!“
Die sonst eher empfindliche katholische Kirche billigt stillschweigend diese etwas blasphemische Weihnachtstradition und so stößt man sogar inmitten der 160 Quadratmeter großen Krippenlandschaft in der Hauptstadt Barcelona auf das ein oder andere Scheißerchen. Im Laufe der Jahrzehnte wird die traditionellen Bauernfigur auch zunehmend von bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ersetzt. Fußballstar Ronaldinho, Barack Obama, Albert Einstein, Elvis, die Queen und sogar der Papst dürfen sich im Umfeld des Messiahs erleichtern. Aber Achtung: Das ist noch lange kein Grund, heute Abend zur Mitternachtsmesse in die Kirche zu pinkeln! Frohes Fest!